Iran: Amnesty dokumentiert ein Jahrzehnt ungestrafter Todesfälle in Haft
4. Oktober 2021Die iranischen Behörden haben es verabsäumt, für mindestens 72 Todesfälle in Haft seit Januar 2010 Verantwortung zu übernehmen, trotz glaubwürdiger Berichte, dass die Menschen durch Folter oder andere Misshandlungen oder den tödlichen Einsatz von Schusswaffen und Tränengas durch Beamt*innen getötet wurden. Im Iran bleiben Gefängnisbeamt*innen, die ihre Gefangenen der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aussetzen, straffrei. Das belegen die Ergebnisse, die auf den Langzeit-Recherchen von Amnesty International und einer umfassenden Untersuchung der Berichte glaubwürdiger Menschenrechtsgruppen und Medien beruhen.
Seit Januar 2010 wurden mindestens 72 Menschen in 42 Gefängnissen und Haftanstalten in 16 Provinzen des Landes getötet. Der jüngste dokumentierte Fall ist der Tod des 31-jährigen Yaser Mangouri, der seiner Familie am 8. September 2021 von Bediensteten des Geheimdienstministeriums in Urumieh, Provinz West-Aserbaidschan, mitgeteilt wurde. Seitdem wurde keine einzige Amtsperson für diese Todesfälle zur Rechenschaft gezogen, was die langjährige Krise der Straflosigkeit in Iran deutlich macht: Foltervorwürfe und rechtswidrige Tötungen werden weder untersucht noch geahndet.
Video-Aufnahmen aus Evin-Gefängnis belegen Misshandlungen und Vernachlässigung von Inhaftierten
Erst vor wenigen Wochen drangen Videoaufnahmen aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis an die Öffentlichkeit, die Beweise für Misshandlungen und sexuelle Belästigung von Inhaftierten durch Gefängnispersonal lieferten. Sie zeigten außerdem die vorsätzliche Vernachlässigung von Inhaftierten, die medizinische Hilfe benötigen. Die Videoaufnahmen untermauern somit, was Amnesty International seit vielen Jahren dokumentiert. Außerdem bestätigen die Videos die chronische Überbelegung in Gefängnissen und Einzelhaft unter grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen.
„Die systematische Weigerung der Behörden, unabhängige Untersuchungen zu Todesfällen in der Haft durchzuführen, zeigt die Normalisierung der Tatsache, dass Menschen willkürlich durch staatliche Behörden ihres Lebens beraubt werden", sagte Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International, und sagt weiter: "Um das Rechts auf Leben zu wahren, muss gegen Bedienstete, die verdächtigt werden, Gefangene zu Tode gefoltert zu haben, ermittelt werden. Wenn genügend zulässige Beweise gegen sie gefunden werden, müssen sie strafrechtlich verfolgt werden."
Das Fehlen von Ermittlungen stellt an sich schon eine Verletzung des Rechts auf Leben dar.
Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International
Amnesty International hat eine Liste mit den Namen der in Haft verstorbenen Personen, inklusive Alter, Datum und Ort ihres Todes veröffentlicht. In der Liste nicht enthalten sind Dutzende von Todesfällen in Haft, bei denen ein Zusammenhang mit der Verweigerung medizinischer Versorgung vermutet wird. Diese Fälle werden derzeit von Amnesty International untersucht.
Große Sorge um inhaftierte Österreicher Kamran Ghaderi und Massud Mossaheb
Auch die beiden Österreicher Kamran Ghaderi und Massud Mossaheb sind im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Sie sitzen seit Jahren willkürlich und zu Unrecht im Gefängnis. Ihre Geständnisse wurden erzwungen und sie wurden in grob unfairen Gerichtsverfahren verurteilt. Aufgrund der katastrophalen Haftbedingungen im Evin-Gefängnis hat sich der Gesundheitszustand der beiden iranisch-österreichischen Doppelstaatsbürger massiv verschlechtert. Der 74-jährige Generalsekretär der Österreichisch-Iranischen Gesellschaft und der 56-jährige IT-Manager leiden an Vorerkrankungen und müssen dringend eine angemessene medizinische Versorgung erhalten. Auch die Gefahr einer Ausbreitung von COVID-19 im Gefängnis stellt eine weitere ernstzunehmende Bedrohung für das Leben der beiden unschuldig Inhaftierten dar. Im Gefängnis gibt es keinen Schutz vor einer Ansteckung, die insbesondere aufgrund der Vorerkrankungen für die beiden Männer lebensgefährlich sein kann. Amnesty International fordert gemeinsam mit Tausenden Menschen die sofortige Freilassung von Massud Mossaheb und Kamran Ghaderi.