Amnesty International fordert daher ein grundsätzliches Verbot solcher Überwachungstechnologien.
Vielerorts werden auch restriktive Verwaltungsvorschriften genützt, um Protestaktionen zu erschweren oder zu verbieten – etwa wenn eine Demonstration im Voraus nicht rechtzeitig angemeldet bzw. eine Genehmigung eingeholt wird, weshalb dann die Versammlung als „rechtswidrig“ eingestuft und ihre Auflösung angeordnet wird, oder die Verwaltungsübertretung dazu genutzt wird, die Beteiligten festzunehmen und strafrechtliche Sanktionen gegen Organisator*innen und Teilnehmer*innen zu verhängen. „Verwaltungsvorschriften dürfen nicht dazu verwendet werden, Versammlungen als rechtswidrig einzustufen und zu unterbinden“, erklärt Deiss. Für Österreich etwa fordert Amnesty International eine ausdrückliche Ausnahme der Anzeigepflicht bei spontanen Versammlungen.
Österreich: Maßnahmen gegen Ethnic Profiling gefordert
Die in dem Bericht festgestellten willkürlichen Massenüberwachungen, strengen polizeilichen Maßnahmen, übermäßigen Auflagen und die Gefahr strafrechtlicher Sanktionen schaffen Angst und schrecken von der Teilnahme an Versammlungen ab. Dieser „Abschreckungseffekt“ wirkt sich laut Amnesty unverhältnismäßig stark auf von Rassismus betroffene Menschen und marginalisierte Gruppen aus, die ohnehin einem höheren Risiko von Gewalt, Ungleichbehandlung, rassistischer und anderer Diskriminierung durch staatliche Stellen ausgesetzt sind. Zusätzlich scheinen viele Länder in diskriminierender Weise zwischen verschiedenen Protestbewegungen, Gruppen und Anliegen zu unterscheiden. So wurden etwa in Deutschland die geplanten Demonstrationen zum Gedenken an die palästinensische Nakba in Berlin in den Jahren 2022 und 2023 aufgrund von diskriminierenden Stereotypen über die zu erwartenden Teilnehmer*innen, die von der Polizei als „gewaltbereit“ bezeichnet wurden, vorsorglich verboten.
Auch in Österreich sind Menschen, die Rassismus erleben, im Rahmen von Versammlungen Diskriminierungen betroffen, u.a. von Polizeigewalt und ethnic profiling. „Davon spricht man, wenn Polizeibedienste ihre Amtshandlung auf Eigenschaften wie Hautfarbe, Sprache, vermutete oder tatsächliche ethnische Zugehörigkeit, Religion oder Staatsbürgerschaft abstellen“, so Deiss. Sie fordert in Österreich dringend wirksamen Maßnahmen dagegen, als allererstes eine statistische Erhebung, um diskriminierende Praktiken zu identifizieren und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, sowie Schulungsmaßnahmen innerhalb der Polizei. „Außerdem braucht es klare polizeiliche Verfahren und Kriterien, um berechtigte und unberechtigte Gründe für einen Verdacht definieren zu können, sowie konkrete Überwachungsmöglichkeiten von Polizeikontrollen.“
Schutz von Journalist*innen
Last but not least ist im Zuge der Versammlungsfreiheit auch der Einsatz von Journalist*innen zu schützen. Amnesty kritisiert in diesem Zusammenhang u.a. Österreich, wo etwa die Polizei in Wien bei mehreren Protesten Journalist*innen daran gehindert hat, das Geschehen zu beobachten und darüber zu berichten, oder sie nicht angemessen vor Angriffen durch Demonstrierende geschützt hat. Bei der Räumung des Lobau Protestcamps im April 2022 richtete die Polizei eine separate Pressezone für Journalist*innen ein, die so weit vom Camp entfernt war, dass eine angemessene Beobachtung der Ereignisse unmöglich war.
Hintergrund & Zusammenfassung
Amnesty International hat in den vergangenen Jahren 21 europäische Staaten auf ihre Praxis und nationalen Bestimmungen im Zusammenhang mit Versammlungsfreiheit, friedlichen Protesten und Akten des zivilen Ungehorsams untersucht. Die Ergebnisse wurden nun in einem umfangreichen Bericht im Rahmen der globalen Kampagne „Protect the Protest“ vorgestellt, bei der sich Amnesty für das Recht auf Protest in der ganzen Welt einsetzt.
Das Ergebnis: Obwohl alle 21 in dem Bericht untersuchten Länder die wichtigsten Menschenrechtsinstrumente zum Schutz des Rechts auf friedliche Versammlung ratifiziert haben, wurden die internationalen und regionalen Bestimmungen vielerorts nicht in nationales Recht umgesetzt. Dies hat – in Verbindung mit der Verabschiedung repressiver neuer Gesetze, weitreichender Beschränkungen und aufwändiger Auflagen – ein zunehmend feindliches Umfeld für Proteste geschaffen.
Insgesamt zeigt sich in ganz Europa ein Muster repressiver Gesetze, übermäßiger Gewaltanwendung, willkürlicher Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung sowie ungerechtfertigter oder diskriminierender Einschränkungen.
Im Rahmen des Berichts wurden folgende Länder untersucht: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, die Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn, die Türkei und das Vereinigte Königreich.