© Achilleas Chiras / Nurphoto
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presse

Griechenlands Grenzpolitik: Push-Backs gegen Menschen auf der Flucht haben System

22. Juni 2021

Zusammenfassung

  • Neuer Amnesty Bericht veröffentlicht neue Belege für Folter, Misshandlungen und rechtswidrige Push-Backs von Menschen auf der Flucht
  • Menschen werden bis zu 700 Kilometer von der Grenze entfernt aufgegriffen, dann zur Landgrenze mit der Türkei gebracht und dorthin abgeschoben
  • Amnesty fordert daher die EU-Grenzschutzagentur Frontex auf, ihre Operationen in Griechenland auszusetzen oder sich zurückzuziehen

Griechische Grenztruppen halten gewaltsam und rechtswidrig Gruppen von Schutzsuchenden fest, um sie sodann in die Türkei zurückschieben. Damit verstoßen sie gegen ihre Menschenrechtsverpflichtungen nach EU- und Völkerrecht, wie neue Recherchen von Amnesty International darlegen.

Der englischsprachige Bericht Greece: Violence, lies and pushbacks dokumentiert, wie die griechischen Behörden illegale Push-Backs an Land und auf See durchführen. Er konzentriert sich vor allem auf rechtswidrige Operationen der Grenzpolizei zwischen Juni und Dezember 2020 in der Region Evros und dem gleichnamigen Fluss, der die griechisch-türkische Grenze bildet. Die neue Untersuchung zeigt, dass an der Landgrenze auch nach den Ereignissen im Februar und März 2020 weiterhin Menschenrechtsverletzungen begangen werden und zu einer fest verankerten Praxis geworden sind.

Es ist eindeutig, dass mehrere griechische Behörden eng zusammenarbeiten, um Schutzsuchende brutal festzunehmen und zu inhaftieren.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Unsere Recherchen zeigen, dass gewaltsame Push-Backs de facto zur griechischen Grenzpolitik in der Evros-Region geworden sind. Bei den von Amnesty International dokumentierten Fällen waren bis zu 1.000 Personen betroffen, manche mehrfach und manchmal unter Nutzung inoffizieller Haftzentren. Der Organisationsgrad dieser Abschiebungen zeigt, wie weit Griechenland geht, um Menschen illegal zurückzuschicken und dies zu vertuschen“, sagt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

Schläge von Personen in Uniform

Die überwiegende Mehrheit der Menschen, mit denen Amnesty International gesprochen hat, berichtete, dass sie Gewalt von Personen, die sie als uniformierte griechische Beamt*innen beschrieben, sowie von Männern in Zivilkleidung erlebt oder gesehen hatten. Dazu gehörten Schläge mit Stöcken oder Knüppeln, Tritte, Faustschläge, Ohrfeigen und Stöße, die manchmal zu schweren Verletzungen führten. In den meisten Fällen lag bei den berichteten Gewalttaten ein Verstoß gegen das internationale Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung vor. Einige Vorfälle kamen aufgrund ihrer Schwere und der erniedrigenden oder strafenden Absicht auch der Folter gleich.

 

Frontex hat die Pflicht, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Wenn Frontex das nicht gelingt, müssen dessen Operationen in Griechenland beendet werden.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

"Alle Menschen, mit denen Amnesty gesprochen hat, wurden aus Gebieten zurückgedrängt, in denen Frontex eine große Anzahl von Mitarbeiter*innen hat. Die Agentur kann daher nicht behaupten, sie wisse nichts von den Misshandlungen, die wir und viele andere Organisationen dokumentiert haben", so Schlack.

Einige dokumentierte Push-Back-Fälle

Saif*, ein 25-jähriger Syrer, der im August 2020 viermal zurückgeschoben wurde, berichtete Amnesty International, dass die Gruppe, mit der er unterwegs war, bei seinem zweiten Versuch von „Soldaten“ in schwarzer Kleidung und Sturmhauben in einen Hinterhalt gelockt und an das Ufer des Flusses Evros gebracht wurde. Zwei Personen aus der Gruppe versuchten zu fliehen, wurden aber von einem der Soldaten aufgehalten und brutal verprügelt. Saif, der vermutete, dass die Wirbelsäule von einem der Männer gebrochen war, sagte Amnesty International:

Er konnte sich überhaupt nicht bewegen, er konnte nicht einmal seine Hände bewegen.

Saif*, 25 aus Syrien

Laut Angaben von Saif brachten die Soldaten die beiden verletzten Männer über den Fluss in die Türkei, wo türkische Soldat*innen und ein Krankenwagen eintrafen, um ihnen zu helfen.

Ein Mann berichtete Amnesty International, dass er und seine Gruppe bei einer der Rückführungsaktionen in der Nähe einer kleinen Insel in der Mitte des Evros-Flusses vom Boot ins Wasser gezwungen wurden. Dort waren sie tagelang gestrandet. Ein Mann, der aus dem Boot gedrängt wurde, konnte nicht schwimmen und schrie um Hilfe, während er im Wasser auf- und abtauchte und er dann von der Strömung mitgerissen wurde.

Push-Backs finden nicht nur in den Grenzgebieten statt. Die Menschen werden auch mitten auf dem griechischen Festland aufgegriffen und festgehalten, bevor sie in die Evros-Region zurückgebracht werden, um dort rechtswidrig abgeschoben zu werden. Amnesty International sprach mit vier Personen, die in Gebieten Nordgriechenlands willkürlich aufgegriffen und festgehalten und schließlich in größeren Gruppen in die Türkei zurückgeschoben wurden. Unter ihnen waren ein anerkannter Flüchtling und ein registrierter Asylbewerber, die seit fast einem Jahr auf dem griechischen Festland lebten. Einer von ihnen, Nabil*, ein 31-jähriger Syrer und registrierter Asylbewerber in Griechenland, berichtete Amnesty International, dass er im Hafen der Stadt Igoumenitsa im Nordwesten Griechenlands festgenommen wurde. Die Polizei teilte ihm mit, dass er nach Athen überführt und dort freigelassen würde. Er wurde dann jedoch an einen anderen Ort in der Nähe der Evros-Landgrenze gebracht und dort festgehalten, geschlagen und schließlich in einer Gruppe von 70 Menschen, darunter auch Kinder, zurückgeschoben. Er erzählte Amnesty International:

Bevor ich in den Bus einstieg, zeigte ich der Polizei meine Asylkarte, aber sie nahmen sie mir ab, zerrissen sie und sagten mir, ich solle in den Bus steigen.

Nabil*, 31 aus Syrien

Hintergrund

Der neue Bericht von Amnesty International Greece: Violence, lies and pushbacks basiert auf Gesprächen mit 16 Personen, die 21 Push-Backs erlebt haben. Der Bericht konzentriert sich vor allem auf Push-Backs an der Evros-Grenze zwischen Juni und Dezember 2020. Basierend auf ihren Zeug*innenaussagen wird geschätzt, dass von diesen rechtswidrigen Operationen etwa 1.000 Menschen betroffen waren.

Frontex, die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache, ist verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen und ihre Aktivitäten auszusetzen oder einzustellen, wenn es zu solchen Verstößen kommt.

*Namen zum Schutz der Menschen geändert.