© ATTILA KISBENEDEK / AFP / picturedesk.com
© ATTILA KISBENEDEK / AFP / picturedesk.com
presse

Menschenrechtsorganisationen an Nehammer: „Klare Kante statt Kuschelkurs mit Orbán und Vučić“

7. Juli 2023

Anlässlich des heutigen „Migrationsgipfels“ in Wien fordern Amnesty International und die asylkoordination österreich Bundeskanzler Karl Nehammer auf, gegenüber dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán klar Stellung zu Menschenrechtsverletzungen zu beziehen und eine faire Behandlung von Geflüchteten zur Priorität zu machen.

Auf dem Migrationsgipfel hat Bundeskanzler Nehammer die Chance zu zeigen, auf welcher Seite er beim Schutz der Menschenrechte steht.

Nicole Pinter, Juristin und Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich

„Wir fordern ihn auf, ein klares Signal an Orbán und Vučić zu senden, indem er sich unmissverständlich zu Menschenrechtsproblemen äußert und eine faire Behandlung von Geflüchteten fordert. Der Schutz der Menschenrechte ist nicht verhandelbar. Österreich darf hier keine Kompromisse eingehen“, so Nicole Pinter von Amnesty International.

„Die Einladung an die deklarierten Gegner von Menschenrechten aus Serbien und Ungarn verwundert bei Nehammers außenpolitischem Irrlichtern leider nicht: Anstatt Orbáns antisemitischen Verschwörungsphantasien und Vučićs autoritärem Nationalismus Vorschub zu leisten, muss Nehammer endlich klare Kante zeigen und die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln fordern. Alles andere schadet Österreich“, stellt Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination österreich klar.

Beunruhigende Behandlung von Asylsuchenden

Amnesty International und asylkoordination österreich unterstreichen die Diskrepanz bei der Zahl von Asylanträgen zwischen Serbien, Ungarn und Österreich. Im ersten Halbjahr 2023 wurden in Serbien 800 und in Ungarn nur 22 Asylanträge registriert. Im selben Zeitraum wurden in Österreich etwa 24.000 Schutzsuchende registriert, wovon der überwiegende Großteil über Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen ist. In Ungarn wurde in den letzten 10 Jahren insgesamt weniger Schutztitel erteilt als in Österreich in den letzten beiden Monaten.

In der Vergangenheit brauchte es sogar eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, damit Ungarn aufhörte, Geflüchteten Lebensmittel vorzuenthalten. Erst jüngst entschied der österreichische Verfassungsgerichtshof im Fall einer von Ungarn im Jahr 2021 aus Afghanistan evakuierten Familie, die nach Österreich weitergeflohen war, dass deren Abschiebung nach Ungarn unzulässig ist. Grund: Ein faires Verfahren und menschenwürdige Bedingungen sind in Ungarn nicht gewährleistet.

„Die Missachtung von rechtsstaatlichen Prinzipien von Seiten Ungarns ist sogar schon Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission. Ungarn muss seine menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Hausaufgaben erledigen. Nehammer muss dies klar ansprechen“, fordert Gahleitner-Gertz.

Sowohl die ungarischen als auch die serbischen Behörden wenden eine menschenverachtende, rechtswidrige und sinnlose Pushback-Politik an, die das Leiden der schutzbedürftigen Menschen weiter verschlimmert. Amnesty International verurteilt diese Praktiken aufs Schärfste. Sie verstoßen gegen internationale Menschenrechtsstandards und verschlimmern die ohnehin schon schwierige Lage der Geflüchteten.

Nicht jeder Mensch hat Anspruch auf Asyl. Aber jeder Mensch hat ein Recht auf ein faires Verfahren und menschenwürdige Unterbringung. Diese Mindestanforderungen werden von Ungarn und Serbien nicht respektiert. Solange sie dies nicht ändern, sind sie keine verlässlichen Partner, was sie leider tagtäglich eindrücklich unter Beweis stellen.

Nicole Pinter, Juristin und Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich

„Dass Österreich Millionen von Steuergeld und österreichische Polizist*innen nach Ungarn und Serbien schickt ist ein Skandal und angesichts dessen, dass die meisten Asylsuchenden dennoch nach Österreich kommen, absurd. Der Bundeskanzler wäre gut beraten, von Serbien und Ungarn nachdrücklich die Einhaltung gemeinsamer Rechtsstandards unter sonstiger Aufkündigung der Kooperation nachweislich einzufordern sowie die Einschüchterungspolitik gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen sofort zu beenden“, betont Gahleitner-Gertz.

Hintergrund

Erst im Juni 2022 wurde vom Europäischen Gerichtshof festgestellt, dass das ungarische Asylrecht unionsrechtswidrig ist. Österreich kann aufgrund der strukturellen Verletzung der Aufnahmebedingungen seit März 2017 keine Asylwerber*innen mehr nach Ungarn überstellen. Serbien hat aufgrund großer Abwanderung einen massiven Bedarf an Arbeitskräften und bereitet momentan eine Liberalisierung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Drittstaatsangehörige vor. Das Schutzsystem in Serbien ist mangelhaft.