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Im syrischen Militärgefängnis Saydnaya bei Damaskus werden Häftlinge systematisch gefoltert und getötet. Amnesty International spricht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und fordert vom Uno-Sicherheitsrat und insbesondere von Russland, alles daran zu setzen, dass unabhängige Inspektoren Zugang zu den Gefängnissen erhalten und damit den Massentötungen ein Ende setzen.
Jede Woche werden im syrischen Militärgefängnis Saydnaya bis zu 50 Häftlinge unter völliger Geheimhaltung erhängt: Dies enthüllt Amnesty International im heute veröffentlichten Bericht. Bis zu 13.000 Gefangene wurden so ermordet, dazu kommen Tausende Tote, die durch Hunger, Durst oder Folter und Misshandlung umkamen.
Der Bericht stützt sich auf intensive Recherchen eines ganzen Jahres: Von Dezember 2015 bis Dezember 2016 führte Amnesty International ausführliche Interviews mit insgesamt 84 Personen, vorwiegend im Süden der Türkei: Amnesty sprach mit ehemaligen Häftlingen, Gefängnispersonal und Offizieren von Saydnaya, syrischen Anwält*innen und Richter*innen sowie internationalen Expert*innen. Zudem wurden Satellitenbilder ausgewertet, die neue Massengräber zeigen.
Durch die Zeugenaussagen und deren Verifizierung kann ein präzises Bild über den Ablauf der systematischen Hinrichtungen gezeichnet werden. Im sogenannten roten Gebäude von Saydnaya werden vor allem Personen festgehalten, die vom Regime mit den Demonstrationen von 2011/2012 in Verbindung gebracht werden: Demonstrierende, Journalist*innen oder humanitäre Helfer*innen. In den Verliesen der Geheimdienste werden unter schwerer Folter Geständnisse erpresst; diese bilden die Grundlage für die Todesurteile des Militärgerichts in al-Qaboun bei Damaskus. Diese „Prozesse“ dauern zwischen ein und drei Minuten pro Person.
Saydnaya wurde ab 2011 zur Endstation für politische Gefangene. Ein ehemaliger Beamter von Saydnaya berichtete Amnesty am 6. Oktober 2016: „Die Menschen in Saydnaya sind Doktoren, Ingenieure, Demonstranten; die beste Beschreibung für sie aber ist Revolutionäre. Saydnaya ist der Ort, um mit den Revolutionären fertig zu werden. Er ist das Ende für sie.“
Die Hinrichtungen finden dann einige Monate später statt, ein- oder zweimal wöchentlich, in Gruppen von bis zu 50 Häftlingen. Sie sind nur den direkt involvierten Wärtern und Vertretern des Sicherheitsapparates bekannt. Die Wärter holen die Betroffenen – unter dem Vorwand, sie würden in ein anderes Gefängnis verlegt – nachmittags aus ihren Zellen im sogenannten roten Gebäude von Saydnaya und sammeln sie in einem Raum im Untergeschoss. Zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens werden die Gefangenen, nachdem sie brutal zusammengeschlagen wurden, mit gefesselten Händen und verbundenen Augen in Lastwagen zum sogenannten weißen Gebäude gefahren.
Dort finden die Hinrichtungen statt, im Beisein des Gefängniskommandanten und hoher Vertreter des Militärs und Geheimdienstes. Die Betroffenen werden auf einer Plattform aufgereiht, bevor ihnen die Wärter Schlingen um den Hals legen und sie hinunterstoßen. Häftlingen, die in den 10-15 Minuten, in welchen sie hängen bleiben, nicht sterben, weil sie zu leicht sind, werden heruntergeholt und es wird ihnen von den Henkern das Genick gebrochen. Die Leichen werden anschließend in Lastwagen des Militärspitals Tishreen abtransportiert, in diesem Spital registriert und in Massengräbern im Militärgebiet bei Damaskus verscharrt.
Amnesty International geht davon aus, dass im Zeitraum von September 2011 bis Dezember 2015 zwischen 5.000 und 13.000 Gefangene – in der großen Mehrheit Zivilist*innen – erhängt wurden. Hohe Regierungsvertreter*innen, Militärs und Geheimdienstpersonal sind in die systematischen Hinrichtungen involviert. Es muss davon ausgegangen werden, dass die völkerrechtlich verbotenen außergerichtlichen Hinrichtungen bis heute andauern.
Bereits im August 2016 hatte Amnesty International dokumentiert, dass in syrischen Gefängnissen – namentlich in Saydnaya – mindestens 17.000 Gefangene getötet wurden. Sie kamen durch die systematische Folter um, verhungerten oder verdursteten oder starben, da ihnen die medizinische Behandlung verwehrt wurde. Die im Zuge der neuen Recherchen gesammelten Zeugenaussagen der wenigen Menschen, die durch Bestechung oder durch eine präsidentielle Amnestien aus Saydnaya herausgekommen sind, bestätigen die systematischer Folter und Erniedrigungen, Vergewaltigungen sowie Nahrungs- und Wasserentzug.
Die Grausamkeiten, die im sogenannten roten Gebäude in Saydnaya vor sich gehen, haben das Ziel, die Häftlinge zu vernichten. Das betrifft derart viele Zivilpersonen, dass von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Artikels 7 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs gesprochen werden muss: Der Tatbestand der ‚Ausrottung‘ umfasst die „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten –, die geeignet sind, die Vernichtung eines Teiles der Bevölkerung herbeizuführen.“
Die auf diese Weise getöteten Häftlinge werden ins Militärspital Thishreen gebracht. Im Gegensatz zu den Opfern der Hinrichtungen werden sie dort fotografiert (dies war unter dem Namen „Caesar Fotos“ bereits bekannt geworden, als ein syrischer Militärfotograf Tausende Bilder von entstellten Leichen aus syrischen Militärgefängnissen herausgeschmuggelt hatte). Die Militärärzte halten als Todesursache zumeist Herz- oder Atemstillstand fest, bevor die Leichen in Massengräber verscharrt werden.
Amnesty International fordert die Alliierten des syrischen Regimes Russland und Iran dringend auf, ihren Einfluss geltend zu machen, um die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden. Die Staatengemeinschaft muss über die verschiedenen Uno-Mechanismen den Zugang von unabhängigen internationalen Beobachtern nach Saydnaya und zu den anderen syrischen Gefängnissen erwirken. Dies betrifft namentlich den Uno-Sicherheitsrat: Er muss die Resolution 2139 sowie den Zugang der Uno-Untersuchungskommission, des Uno-Hochkommissars für Menschenrechte und der Uno-Agenturen für humanitäre Hilfe endlich durchsetzen und den Internationalen Strafgerichtshof mit Ermittlungen betrauen.